VERENA ZIMMERMANN

LE BON FILM BASEL

CH-FENSTER

In Basler Kinokreisen spricht man seit Jahren von einer Krise: Die Zuschauer-Zahlen haben weit stärker als in andern Städten abgenommen. Manche Film-Interessierte sprechen von einer Programm-Krise. Beides hängt wohl zusammen. Mittlerweile beisst sich die Krisen-Schlange in den Schwanz: kommen was zeitweise der Fall gewesen ist, aufgrund des Besucherschwundes viele der neuen Produktionen erst relativ spät nach Basel und werden Programme bisweilen von Tag zu Tag gemacht und Filme, die nicht gleich das grosse Publikum finden, nach kürzester Zeit abgesetzt und abgelöst durch Lückenbüsser, die dann leicht auch nicht zur Kenntnis genommen werden, so ist es nicht verwunderlich, dass weder die abgesprungenen Besucher ins Kino zurückgeholt noch neue dafür gewonnen werden.

In dieser Situation mag alternatives Kino besonders dringend scheinen und von vielen auch gewünscht werden, aber anders als in Zürich, Bern und Genf gibt es dafür keine ständige Einrichtung und keine, die entscheidend von der öffentlichen Hand mitgetragen wird: Basel hat «nur» einen Filmclub — allerdings den ältesten und an Mitgliedern stärksten der Schweiz: ein fester Bestandteil im Basler Kulturleben und die einzige grössere Einrichtung, die kontinuierlich filmkulturelle Arbeit mit Werken des nicht-kommerziellen Verleih-Angebots leistet.

Gegenwärtig wird Le Bon Film von nahezu 1200 Mitgliedern, d.h. Bezügern der Saison-Karte, getragen. Pro Saison laufen seit 1977 in jeweils vier Vorstellungen 16 reguläre zweistündige Programme. Dazu kamen in den letzten Jahren öffentliche Länder-Zyklen (DDR, Sowjetunion, Japan, Ungarn, Bulgarien, Polen) und eine oder zwei Sonderveranstaltungen.

Seit dem Herbst 1977 spielt Le Bon Film in dem vor einem Jahr eröffneten Studio-Kino Camera, an dessen Aktienkapital der Filmclub in bescheidener Weise beteiligt ist. Damit sind neuerdings technisch einwandfreie Vorführungen gewährleistet, im Rahmen eines Kinos, dessen Programm zwar nicht nach den gleichen Gesichtspunkten, aber nach den gleichen Qualitätsansprüchen zusammengestellt wird.

In der Programmierung macht sich je länger je mehr, auch gattungsmässig und filmhistorisch, eine Offenheit für formale und thematische Breite bemerkbar, eine Offenheit, die das Risiko nicht scheut, Ungewohntes und schwerer Zugängliches zu bringen.

Immer mehr liegt der Schwerpunkt auf Premieren, damit auf der Information über aktuelle Strömungen; Mitglieder des Vorstands von Le Bon Film besuchen regelmässig Dokumentar- und Spielfilm-Festivals. Die Vermittlung nur kurzfristig im kommerziellen Verleih gehandelter und gespielter Filme ergänzt diesen Programmteil sinnvoll. Daneben findet man lange nicht mehr Aufgeführtes aus der frühen Kino-Geschichte, vergessene oder versteckte Filme, klassische Avant-Garde-Werke ebenso wie neueste Aussenseiter-Produktionen, denen Avant-Garde-Funktion vielleicht einmal nachgesagt werden kann. Eine der Vorstellungen pro Saison ist jeweils dem neuen Schweizer Film gewidmet; ausserdem hat Le Bon Film im letzten Jahr die Auswahlschau der Solothurner Filmtage in Basel organisiert.

Überlegungen zu solcher Programmgestaltung, deren Spannweite vom politischen Dokumentarfilm bis zu einem unter diesem oder jenem Gesichtspunkt interessanten Unterhaltungs-Spielfilm reicht, und Stellungnahmen zu Publikumsreaktionen spiegeln sich wider in den Einleitungen der seit 1969/70 herausgegebenen Saison-Programmhefte; die Dokumentationen sind in sich schon Ausdruck eines Anspruchs und der sich selbst gestellten filmkulturellen Aufgabe, welche der Vorstand und Mitglieder ehrenamtlich ausführen: Film nicht nur auf die Leinwand zu bringen, sondern die Arbeit mit dem Film, mit seinen Inhalten und der Art ihrer Vermittlung überhaupt erst fundiert zu ermöglichen. Das ruft oft genug Kritiker auf den Plan, die der Auswahl Einseitigkeit vorwerfen, was meist meint, um in den gängigen Kategorien zu sprechen, zu kritisch, zu links. Vorwürfe dieser Art hat es in der Geschichte von Le Bon Film oft gegeben, was für die Konsequenz spricht, mit der im Laufe der Jahre die Kontinuität eines zwar immer offenen, aber stets klar ausgerichteten Programms auch in den schwierigsten Phasen aufrecht gehalten worden ist.

In diese Richtung zielten schon die bei der Gründung von Le Bon Film gesetzten Akzente: Überlegungen und Ergebnisse des I. Internationalen Kongresses des unabhängigen Films, der im Herbst 1929 in La Sarraz stattgefunden hatte — mit Teilnehmern wie Eisenstein, Tisse, Hans Richter, Béla Balázs — gaben im Winter 1930/31 den Anstoss zum Zusammenschluss einiger Filminteressierter um den Hauptanimator Georg Schmidt, den späteren Kunstmuseumsdirektor. Ausgangspunkt war der Gedanke, über das Interesse der Film-Konsumenten Einfluss auf die Produktion zu erhalten oder sogar mit ihnen zusammenzuarbeiten, damit auch mit der aufwendigen Tonfilm-Technik in Unabhängigkeit von den grossen Produktionsfirmen sozialkritische und politische Filmarbeit möglich wäre. Zu Beginn beteiligten sich Mitglieder der Gruppe Basel des Schweizerischen Werkbundes aktiv am Filmclub, eine Zeitlang auch die Studentenschaft Basel, die allerdings 1943 ausschied, weil manchen die Politik von Le Bon Film zu wenig anpasserisch war.

Vieles hatte Bedeutung über Basel, selbst über die Schweiz hinaus: die Bemühungen um den Aufbau der Cinémathèque (unter Leitung von Peter Bächlin) und ihren Verbleib in Basel, die erste Veranstaltung der Internationalen Filmwoche im Juni 1939, an der u.a. Jean Renoir und Rudolf Arnheim teilnahmen und die 1943, 1945 und 1947 wiederholt wurde. 1954 fand im Studiokino Cinémiroir die letzte Veranstaltung mit internationalen Teilnehmern statt. Zu dieser Zeit hatten sich schon harte Kämpfe mit dem Verband der Basler Lichtspieltheater (VBL) abgespielt, die 1952 in einen totalen dreijährigen Boykott ausgeartet waren. Seit 1957 konnte Le Bon Film dann während zwanzig Jahren in den Wintermonaten im Kino Royal, einem Quartierkino beim Badischen Bahnhof, vorführen. Die Mitglieder wurden immer zahlreicher; immer noch unter der Präsidentschaft (1949-1970) von Frank Weiss, von dem die Informationen zur Geschichte von Le Bon Film stammen, waren es in den Jahren 1963-1968 stets zwischen 1500 und 1600.

In den seither erschienenen Programmheften ist immer mehr die Rede von Schwierigkeiten, welche mit der speziell schlechten Kino-Situation in Basel zu tun haben: Le Bon Film spielt in einem dem VBL angeschlossenen Kino (da anders kein 35 mm-Projektor zur Verfügung steht) und ist somit von diesem Verband abhängig, insbesondere was die Anzahl der Vorführungen und Sonderveranstaltungen angeht. Bisher ist kein Vertrag zustande gekommen, der es dem Filmclub erlauben würde, von Fall zu Fall frei Veranstaltungen anzusetzen, beispielsweise über den Mitgliederkreis hinaus öffentliche Länder- oder Themenzyklen. Kurz gesagt: Die eindrücklich und nach aussen hin fest umrissen in Erscheinung tretende, nach einem greifbaren Konzept organisierte und beim Publikum verankerte Arbeit spielt sich in ständiger Unsicherheit ab, in einem Zustand der Schwebe, in dem das, was machbar sein darf, diktiert wird.

Verena Zimmermann
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
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