URS JAEGGI

STILLE ARBEIT FÜR DIE FILMKULTUR — ÜBER DIE BEDEUTUNG ALTERNATIVER VERLEIHSTELLEN UND FILMVERMITTLER IN DER SCHWEIZ

CH-FENSTER

Bereits 1912 wurde die Schweizerische Arbeiterbildungszentrale (SABZ) in der Absicht gegründet, die Bildungsmöglichkeiten für die Arbeiter zu fördern und auszudehnen. Früh schon wurde dabei der Einsatz von Filmen als wünschenswert empfunden. 1928 schliesslich wurde der Beschluss gefasst, die Filmvermittlung selber an die Hand zu nehmen. Der Verleih der SABZ besteht bis auf den heutigen Tag und verfügt über ein ansehnliches Filmangebot.

1921 erfolgte die Gründung des Schweizerischen Schul-und Volkskinos (SSVK). Erklärtes Ziel war die Bekämpfung des schon damals üppige Blüten treibenden «Kinoschundes» mit dem guten Dokumentar- und Kulturfilm. Die Institution des SSVK versteht sich heute noch als Vermittler des guten Films vor allem in Schulen und in der Bildungsarbeit. Der SSVK ist mittlererweile zum grössten nichtkommerziellen Verleiher geworden.

Nach dem zweiten Weltkrieg haben sich die evangelischreformierte und die katholische Kirche in der Schweiz intensiv der Filmarbeit angenommen. Auch ihre Absicht war die Bekämpfung des schlechten Films, und auch sie versuchten bald schon, mit einer alternativen Verleihstaffel ein Gegengewicht zum offiziellen Verleihprogramm zu setzen. Dabei beschränkten sich die kirchlichen Verleihstellen keineswegs nur auf verkündigende Filme, sondern versuchten schon früh, allgemein künstlerisch und menschlich wertvolle Filme in ihr Angebot aufzunehmen. Die beiden kirchlichen Verleihe ZOOM (evangelisch-reformiert) und SELECTA (katholisch) verfügen über ein sehr breites Angebot an Kurz-, Dokumentar-und Spielfilmen für die Bildungsarbeit auf allen Stufen. Daneben erfährt der künstlerisch wertvolle Film eine intensive Pflege.

Wandlungen

Die drei Hinweise auf Ursprünge des nichtkommerziellen Verleihwesens müssen als knappe historische Rückschau fürs erste genügen. Interessanter als ein Verweilen in der Gründerzeit ist das Verfolgen der Entwicklung in der nichtkommerziellen Verleihtätigkeit, die immer eng verbunden mit den sie tragenden Institutionen ist. Dabei sind verschiedene Stossrichtungen festzustellen. Der SSVK manövrierte sich mit seiner Devise, dem «Kinoschund» den Dokumentar- und Kulturfilm entgegenzusetzen, zumindest künstlerisch in eine Sackgasse, die allerdings lange sowohl beim Verleiher wie seinen Bezügern unerkannt blieb. Wesentlicher als die Bemühungen um den Kulturfilm, der besonders gepflegt wurde, waren die Bestrebungen um den Unterrichtsfilm, die Jugendfilmarbeit und die eigentliche Filmerziehung. Hier leistete der SSVK Spurarbeit. Zumindest bis zur Mitte der sechziger Jahre, als die Filmarbeit mit dem Kurzfilm begann und von den Medienpädagogen gefördert wurde, hatte der SSVK eine Art Sonder- und Monopolstellung auf diesen Gebieten. Mit dem Wandel der Filmarbeit, die sich nun mehr und mehr in analytischer Weise dem Kurzfilm zuwandte, was andererseits wiederum die Produktion dieses Genres beeinflusste, verlor der SSVK den Anschluss. Erst zu Beginn der siebziger Jahre wurde mit der Anstellung eines pädagogischen Mitarbeiters versucht, das verlorene Terrain wettzumachen. Heute ist der SSVK dabei, mit einem neuen Management, dem Einstieg als Koproduzent bei medienpädagogischen Filmen und einem wesentlich verbreiterten und modernisierten Filmangebot wiederum den Anschluss an die Erfordernisse der Zeit zu finden. Dabei kommt ihm das einer Wandlung unterzogene Verhältnis der Lehrerschaft und der kantonalen Erziehungsdirektionen zum Medienbereich sehr zu Hilfe. Andererseits belastet der Gratisverleih, in den wahllos Propagandafilme aufgenommen werden, den Ruf des SSVK.

Bei den kirchlichen Verleihen erfolgte schon recht früh insofern ein Wandel, als vom eigentlichen «Wächteramt» — man erinnert sich etwa noch an die Indexierung von Kinofilmen durch die katholische Kirche — Abstand genommen wurde. Propagiert wurde dafür eine Integration des Mediums Film in die kirchliche Arbeit einerseits sowie die ideelle und praktische Förderung des wertvollen Films auf der anderen Seite. Diese Haltung bewirkte, dass sich das Aufkommen der Kurzfilmarbeit ganz anders auswirkte als beim SSVK. Setzte man dort — den Unterrichtsfilm, der allerdings fast ausschliesslich nur eine illustrierende, den Unterricht stützende Funktion hatte, einmal ausgenommen — vor allem auf den langen, abendfüllenden, kinogerechten Film, so kam den kirchlichen Institutionen der Kurzfilm sehr gelegen. Er Hess sich wesentlich leichter in die Bildungsarbeit, den kirchlichen Unterricht oder gar den Gottesdienst einbauen, Hess Diskussionen zu und löste Gespräche aus. Allerdings musste der Umgang mit der kurzen Form auch erst erlernt werden. Schon früh stellten die durch die Kirchen eingesetzten Institutionen, das katholische Filmbüro und der protestantische Filmdienst, Begleitmaterial zu ihren Filmen zur Verfügung, das den Benutzern Hinweise für die Verwendung gab. In der Bereitstellung von Begleitmaterial mit didaktischen und methodischen Hinweisen zu den Filmen, leisteten die kirchlichen Filmstellen eine wesentliche Entwicklungsarbeit.

Der Umgang mit dem Kurzfilm war für die Kirchen übrigens nicht neu. Sie kannten diese Form von einer ganzen Reihe von Filmen über Missionswerke und -Stationen, die ihre Verleihe für entsprechende Anlässe zur Verfügung stellten. Daneben wurde der Umgang mit dem langen Film nie aus den Augen verloren. Immer wieder wurde versucht, wesentliche Werke der Filmkunst für die eigenen Anliegen, vor allem für die modellhafte Darstellung sozialen, menschlichen und christlichen Verhaltens nutzbar zu machen. Anders herum gesagt: Die gesellschaftliche Relevanz der Filmkunst wurde richtig erkannt.

Dies trifft besonders auch für die SABZ zu, die den Spielfilm nahezu von Anbeginn ihrer Tätigkeit an als Spiegel sozialer Realität erkannte und in ihrer Bildungstätigkeit einsetzte. Ein breites Angebot an Filmklassikern ist die Folge dieser Erkenntnis. Dass sich diese Institution im Weiteren vor allem mit dem sozial- und gesellschaftskritischen Kurz- und Langfilm auseinandersetzte und noch auseinandersetzt, liegt auf der Hand.

Einer Wandlung unterzogen haben sich im Verlauf der Jahre auch die Abspielbedingungen. Mit der Verleihung eines Films war früher fast immer auch die Verpflichtung zur Vorführung verbunden. Oft noch mit sperrigen mobilen 35 mm-Apparaturen zogen die Filmvorführer von Ort zu Ort, von Schulhausaula zu Kirchengemeindehaus oder Bären-Saal. Fand mit dem Aufkommen und der Verbreitung des 16 mm-Formats eine erste erhebliche Erleichterung statt, so werden heute die Vorführdienste nur noch selten in Anspruch genommen. Für den 16mm-Film — und fast alle alternativen Verleiher konzentrieren sich auf dieses Format — besteht eine gute Infrastruktur, d. h. die Filme können praktisch überall vorgeführt werden, da Kirchgemeinden, Schulen, aber auch private Organisationen heute 16mm-Projektoren für Licht- und Magnettonspur besitzen.

Entwicklungshilfe für den jungen Schweizer Film

Es ist heute wohl kaum jemandem mehr bekannt, dass der protestantische ZOOM-Filmverleih, damals allerdings noch unter dem Namen «Verleihstelle des protestantischen Film-und Radioverbandes», als erste Distributionsstelle Filme der Geburtsstunde des sog. jungen Schweizer Films in sein Programm aufnahm. So wurde ein wesentlicher Teil der Abschlussarbeiten des ersten und zweiten Filmarbeitskurses der Kunstgewerbeschule Zürich angekauft. Darunter befinden sich Werke wie Markus Imhoofs Happy Birthday, der Zyklus Die ruhigen Töchter (alle 1967) mit Filmen von Jürg Hassler, Rudolf Ettmüller, Andre R. Picard, Carlo G. Révay und Samuel Muri, um nur die wichtigsten zu nennen, Umwege von Suzanne Beyeler, Die Veränderung des Friedrich W. aus U. von Alex Jent (alle 1968) oder Home, Sweet Home von Marcus P. Nester. Später fanden Filme von Yves Yersin (Valvieja, 1967) Peter von Gunten (z. B. Im schönsten Wiesengrunde, 1969), Kurt Gloor (FFFT, 1967) oder Robert Schär (z. B. Fingerübung, 1967, Türtortur 1968) Aufnahme ins Verleihangebot.

Andere nichtkommerzielle Verleihe, vorab die SABZ und SELECTA folgten diesem Beispiel. Dabei fällt nun nicht nur ins Gewicht, dass das damals bloss wenigen Insidern bekannte neue schweizerische Filmschaffen unter eine breitere Bevölkerung, insbesondere auch unter Jugendliche gebracht wurde. Ein wesentlicher Aspekt des Ankaufes dieser Filme war auch, dass die Verleihinstitutionen mit den Filmemachern faire Verträge aushandelten, namhafte Beträge für die Rechte bezahlten oder angemessene Beteiligungen an den Einnahmen anboten. Damit wurde eine Art Entwicklungshilfe für die Filmschaffenden geleistet, von der andererseits die Verleiher auch wieder profitieren konnten: Für die Filmarbeit waren die Schweizer Filme, die vielfach helvetische Probleme und Zustände hinterfragten, oftmals besser geeignet als ausländische Kurzfilme. Es spricht übrigens für die frühen Werke heute bekannter, aber auch von der Bildfläche verschwundener Autoren, dass sie ihre Aktualität bis auf den heutigen Tag behielten und nach wie vor rege gebraucht werden.

Jedenfalls ist festzuhalten, dass ein Teil der nichtkommerziellen Verleiher die Bedeutung des neuen Schweizer Films wesentlich früher erkannten als die offiziellen Filmdistributoren. Dies wurde übrigens von vielen Filmemachern anerkannt. Es ist in diesem Zusammenhang nicht ohne eine gewisse Tragik, dass jenen beiden Verleihen, die am meisten Schweizer Filme in ihrem Angebot haben (ZOOM über 100, SABZ gegen 50) heute grundsätzliche Schwierigkeiten bei ihren Bemühungen erwachsen: Der Schweizer Film, seit kurzem sowohl im kommerziellen wie auch im nichtkommerziellen Verleih eine begehrte Handelsware geworden, findet heute den Weg in die Öffentlichkeit über Kanäle, von denen die meisten Alternativverleiher ausgeschlossen sind. Ob damit der Sache wirklich gedient ist, muss sich vorerst noch erweisen, zumal dort die Begleitung der Filme stark vernachlässigt wird.

Film-Pool und Filmcooperative

Die Idee des Film-Pools, der 1970 als Selbsthilfeorganisation der Filmschaffenden gegründet wurde, ist auf Anhieb bestechend. Jeder Filmemacher hat die Möglichkeit, sein Werk in den Pool zu geben, der weder Rechte noch Kopienkosten bezahlt. Dafür wird der Autor grosszügig an den Verleiheinnahmen beteiligt: 75 Prozent der Einspielergebnisse fliessen in seine Kasse und nur 25 Prozent verbleiben beim Pool für die geleistete Arbeit. Vermietet werden die Filme nach einem festen Tarifschema auf der Basis eines Minutenpreises. Die Filme können auch zu kommerziellen Zwecken verliehen werden. Es hat sich in der Praxis allerdings gezeigt, dass die Pool-Preise zu hoch liegen und insbesondere die Möglichkeiten von Schulen, Erwachsenenbildung, Jugendarbeit usw. übersteigen. Da aber der wesentliche Teil der Filme — der Pool verfügt über das nahezu vollständige Angebot des neuen Schweizer Films — gerade deren Bedürfnissen nachkommt, diese aber nach Möglichkeit auf die anderen, günstigeren Verleihe ausweichen, ist der Verleihertrag relativ gering. So bleibt denn die Idee des Verleihs, der ausschliesslich für das schweizerische Filmschaffen arbeitet und den Filmemachern den grösstmöglichen Anteil der Einnahmen zur Reinvestition in neue Filme zukommen lassen will, mehr auf dem Papier als in der Realität bestehen.

Erschwerend kommt dazu, dass nun ausgerechnet jene Spielfilme, die einen grösseren Ertrag abwerfen, nicht mehr beim Film-Pool, sondern bei andern Verleihern vertrieben werden. Nicht nur können diese die besseren Werbe- und Propagandamöglichkeiten anbieten, sondern sie gewähren in etlichen Fällen auch Verleihgarantien, die zur Mittelbeschaffung für die Filmproduktion sehr willkommen, ja unentbehrlich sind. Überdies verfügt der Film-Pool über keine technische Ausrüstung. Er hat das «technical handling» dem SSVK übergeben. Dort sind die Betriebskosten so hoch angesetzt, dass sich der Ertrag für den Film-Pool noch einmal verringert und damit die Basis für allfällige Dienstleistungen noch schmaler wird. Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob der Film-Pool, der als Verleih für den Schweizer Film innerhalb der Schweiz eine nicht unwesentliche Funktion zu erfüllen hat, nicht auf eine neue Basis gestellt werden muss.

Die Filmcooperative Zürich, auch ihre Gründung fällt in die frühen siebziger Jahre, versteht sich als Filmverleih-Genossenschaft mit einem Angebot von vorwiegend politisch und kulturell interessanten Filmen. Verbreitet wird jener Film, der vorwiegend aus politischen Gründen keine Aufnahme in die Staffeln der offiziellen Verleiher findet, oder aber aus technischen Gründen (Spielzeit und Format) als nicht «kinogerecht» gilt. Wie die kirchlichen Verleihe leistet auch die Filmcooperative einen nicht unwesentlichen Beitrag zur Filmerziehung, in dem sie ihre Füme methodisch-didaktisch begleitet, Zusatzinformationen gibt und den Abspielern Hilfsmittel zur Verfügung stellt. Die Bedeutung der Filmcooperative wird auch nicht bestreiten können, wer sich ihrer politischen Stossrichtung nicht anzuschliessen vermag.

Die Arbeit der Filmcooperative auf dem Gebiet des Filmverleihs ist heute zu Unrecht etwas in den Hintergrund gedrängt worden, weü sich unter dem gleichen Dach eine Reihe von Filmemachern eine genossenschaftliche Produktions-Infrastruktur errichtet hat. Das Filmkollektiv hat in jüngster Zeit Filme produziert, die Aufsehen erregt haben (Kaiseraugst, Lieber Herr Doktor, Demokratische Rechte). Darüber ist beinahe vergessen worden, dass die Filmcooperative / Filmkollektiv inzwischen den Verleih so wichtiger Filme wie Les Indiens sont encore loin (Patricia Moraz) oder — in Zusammenarbeit mit Alexander-Film — Das Brot des Bäckers (Erwin Keusch) übernommen hat und damit ins Kinogeschäft eingestiegen ist.1

Es darf in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben, dass die Neigung zur Eigenproduktion von Filmen fast alle grösseren nichtkommerziellen Verleiher trifft: Neben der Filmcooperative und, wie schon erwähnt dem SSVK (Koproduktionen mit dem Fernsehen), haben auch die kirchlichen Filminstitutionen ihre ersten Schritte als Produzenten unternommen, wobei gerade sie schon seit geraumer Zeit Filmprojekte mitfinanzieren halfen, die sie direkt interessierten.

Alternativverleiher: Für gezielte Filmarbeit unerlässlich

Wo Film nicht einfach als Unterhaltung konsumiert wird, sondern in seinen gesellschaftlichen, künstlerischen und historischen Dimensionen verstanden und zum Anlass von Auseinandersetzungen mit den durch ihn aufgeworfenen Fragen und seinen Strukturen genommen wird, sind die alternativen Filmverleiher unentbehrlich geworden. Sie stellen Material zur Verfügung, das über die offiziellen Distributionskanäle nur schwer oder überhaupt nicht erhältlich ist. Eine besonders wichtige Rolle spielen sie bei der Bereitstellung von Filmen zur Filmgeschichte und Filmerziehung. Letztere erhält im Hinblick auf den Einfluss des Fernsehens auf unseren Alltag eine immer grössere Bedeutung und findet deshalb zunehmend Eingang in den Schulunterricht und die Erwachsenenbildung in all ihren Formen. Ohne das Angebot der alternativen Verleiher wäre eine sinnvolle Arbeit hier überhaupt nicht zu leisten.

Einen wesentlichen Auftrag erfüllen die Alternativverleiher aber auch, indem sie ein Gegenangebot zum offiziellen Verleih zur Verfügung stellen. Da die kommerziellen Verleihfirmen ihr Augenmerk notgedrungen auf das Erzielen einer Rendite richten müssen, wird ihr Filmangebot immer auch von kaufmännischen Überlegungen mitbestimmt. Manch ein Film, der keine guten Einspielergebnisse verspricht, weil er «schwierig» ist, wird oft gar nicht erst in die Schweiz eingeführt. So ist im Kino stets nur ein Sektor des gesamten Filmspektrums zu sehen. Hier springen die Alternativverleiher ein. Wenn sie mit ihren beschränkten Möglichkeiten auch keineswegs das Filmangebot in der eigentlich erforderlichen Weise zu komplettieren vermögen, so füllen sie doch Lücken auf. Sie erhalten einen immerhin beachtlichen «circuit parallele» am Leben, der vor allem von Filmklubs aller Schattierungen und alternativen Filmabspielstellen genutzt wird. Besonders auf dem Gebiet des Dokumentarfilms, das von den Kinos schwer vernachlässigt und auch vom Fernsehen nur einseitig gepflegt wird, erwächst den Alternativverleihern eine wichtige Aufgabe.

Bei der Bereitstellung eines Gegenangebotes für Filmklubs, kommunale Spielstellen und ähnliche Institutionen spielt Cinélibre eine bedeutende Rolle. Der Verband schweizerischer Filmklubs und nichtkommerzieller Spielstellen hat durch sein rühriges Sekretariat in den letzten Jahren viele wichtige Filme für beschränkte Zeit eingeführt, die den Weg in die Schweiz sonst kaum gefunden hätten. Es darf mit Fug und Recht behauptet werden, dass zumindest jene nichtkommerziellen Spielstellen, die nicht mit grossen Zuwendungen von Seiten der Gemeinden rechnen können, mehr oder weniger von der Tätigkeit von Cinélibre gelebt haben. Dabei ist Cinélibre kein Verleiher. Er vermittelt nur Filme an Filmklubs, besorgt die Einfuhr- und Zollformalitäten und koordiniert die Vorstellungen. Der Stock an eigenen Filmen, welche der Verband der Schweizer Filmklubs im Verlauf der Zeit angekauft hat und durch die Cinémathèque in Lausanne an seine Mitglieder verleiht, ist nicht von allzu grosser Bedeutung, wenn es auch einige bemerkenswerte Filme darunter hat. Filmkulturell entschieden wichtiger ist die Einfuhrarbeit.

Gerade aus diesem Grunde ist es unverständlich, dass die Sektion Film des Eidg. Departementes des Innern im Rahmen der Realisierung ihres Leitbildes F dem Cinélibre die Subventionen in einem unverantwortlichen Ausmass gekürzt hat. Darunter leidet nicht Cinélibre allein, sondern vor allem die alternativen Abspielstellen, die von seiner Arbeit profitierten. Langfristig führt diese Entscheidung, welche die Tätigkeit dieses wichtigen Filmvermittlers in unzulässiger Weise einschränkt, zu einer Schädigung des filmkulturellen Klimas schlechthin. Die Filmklubs und die nichtkommerziellen Spielstellen, das haben Untersuchungen in der BRD einschlägig bewiesen, bereiten den Boden für den qualitativ wertvollen Film vor und ermöglichen, dass dieser schliesslich auch ein Publikum in den Kinos findet. Meines Erachtens ist die Zusammenstreichung der Bundessubvention für Cinélibre ein unverzeihlicher Fehler.

Die filmkulturelle Arbeit, welche die alternativen Verleiher leisten, kostet viel Geld. Mit den Einspielergebnissen wird längst nicht hereingebracht, was ausgegeben werden muss. Dass die wichtige Arbeit für den Film dennoch getan werden kann, ist einzig und allein den massiven Zuschüssen zu verdanken, welche die Trägerinstitutionen jährlich sprechen. Dennoch meine ich, ist dieses Geld gut und sinnvoll angelegt. Es wird zur Heranbildung eines mit den Bildmedien vertrauten, urteils- und entscheidungsfähigen Publikums ausgegeben. Davon profitieren nicht zuletzt die Kinos und die Filmverleiher. Darf man erwarten, dass sie über die jetzt schon bestehenden Ansätze hinaus zu einer ernsthaft gemeinten und fruchtbaren Zusammenarbeit mit den alternativen Verleihern und Filmvermittlern bereit sind?

Zukunftsaussichten

Immer grössere Aufwendungen für die Beschaffung von Filmen, namhafte technische Investitionen, die Ungewissheit über die Zukunft der Marktentwicklung (Super-8 und Video), aber auch eine zunehmend verschärfte Konkurrenzsituation lassen die Zukunft der alternativen Filmverleiher nicht eben rosig erscheinen. Natürlich sind noch nicht alle Möglichkeiten der Rationalisierung erschöpft. So beraten etwa die beiden kirchlichen Verleihe SELECTA und ZOOM eine mögliche Fusionierung. Auch auf dem Gebiet des Filmeinkaufs und der Koproduktion bestehen noch vielfältige Möglichkeiten der Kooperation. Überdies erschliessen sich neue Märkte: Die Schliessung vieler Kinos in Kleinstädten und Dörfern hat die Nachfrage nach dem 16 mm-Film, der ja auch in Gemeindesälen, Schulhäusern und an improvisierten Vorführorten gespielt werden kann, gefördert. Gerade diese neue Marktöffnung hat beispielsweise die beiden kommerziellen Verleiher Columbus und Rialto bewogen, wie die Neue Nordisk eine 16 mm-Abteilung zu eröffnen. Alle drei Distributoren verfügen übrigens über ein sehr beachtliches Angebot an guten Spielfilmen, das vorwiegend Titel enthält, die auch in 35 mm erhältlich sind oder waren. Die 16 mm-Rechte werden einfach miterworben und nun in zunehmendem Masse ausgewertet. Rialto geht dabei einen Schritt weiter: Die Zusammenarbeit mit dem grossen Schmalfilm-Verleiher Atlas in der BRD führt auch zu einer Erweiterung des Angebots über 16 mm-Fassungen der Kinostaffel hinaus. Gerade kleinere Filmklubs können von dieser reichhaltigen Filmauswahl dieser gewerblichen Verleihe profitieren.

Dass die beiden neuen, kommerziell orientierten 16 mm-Verleiher der Auffassung sind, dass ihr Filmangebot mit Hinweisen zur Auswertungsmöglichkeit begleitet werden muss und sich damit auch besser verkauft, darf als erfreuliche Tatsache festgehalten werden. Möglichkeiten, wie die Arbeitshilfen und das Begleitmaterial beschafft werden können, sind derzeit im Gange. Es zeichnen sich hier Möglichkeiten ab, die dereinst vielleicht zu einem Pool der 16 mm-Verleiher führen könnten. Die bisherigen alternativen Verleiher jedenfalls sind der Meinung, dass die an sich wünschenswerte Verbreiterung des 16 mm-Angebotes nicht zur Verflachung der Qualität führen darf, sondern auch weiterhin im Dienste der Filmkultur zu stehen hat.

Donat Keusch, Trudi Lutz, Toni Stricker: Nach der 1975 erfolgten Gründung der Filmkollektiv Zürich AG verstanden wir diese primär als Produktionsfirma mit vermietbarem technischem Material in den Bereichen Kamera, Ton, Licht, Bühne (Travelling u.a.) und Schnitt; das ganze getragen und aufgebaut durch die kollektive Arbeit von 10 Filmtechnikern, 5 Autoren/Regisseuren und 3 Administratoren/Verleihern. Die bereits seit 1972 existierende Filmcooperative Zürich hingegen betrachteten und gebrauchten wir ganz allgemein als Verleihinstrument. Durch die gemeinsam gemachte Praxis der beiden letzten Jahre begriffen wir, dass sie sich aus strukturellen, organisatorischen, juristischen und politischen Gründen nur für eine bestimmte, klar alternative Verleiharbeit eignete, für deren Zweck sie ja auch aufgebaut wurde. Diese Arbeit hätten wir gefährdet, wäre man beispielsweise in irgendeiner Form einem Verband beigetreten. Die Arbeit im sogenannten Parallelverleihsektor wäre durch einen Kinoverleih, der von den Voraussetzungen und der täglichen Praxis her noch etwas zu grundsätzlich anderes darstellt, nur behindert worden. … Der eigentliche Kinoverleih Filmkollektiv Zürich Distribution als eine autonome Abteilung des Filmkollektivs begann mit der Betreuung von Das Brot des Bäckers. Juristisch handelt es sich hier um einen deutschen Film, also mussten wir mit einem offiziellen Verleiher, der Mitglied des Schweizerischen Filmverleiherverbandes ist und ein Spielfilmeinfuhrkontingent besitzt, zusammenarbeiten. Das ergab für die Filmauswertung eine inhaltlich ideale, hingegen ökonomisch unbefriedigende Arbeitsteilung. Wir konnten uns voll der breitgefächerten, speziellen Lancierungs-arbeit widmen, während der andere Verleiher die Schreibtisch-und Buchungsarbeit des Films vornahm. Eine Pionierarbeit leisteten wir dadurch, dass wir auf dem Lande die Filmbetreuung ebenso seriös und mit demselben Aufwand betrieben wie in den Städten. Im Allgemeinen machten die Bäcker begeistert mit und auch die anderen Kleingewerbebranchen waren meist in irgendeiner Form involviert. Durch den Einbezug der Detaillisten entstanden natürlich auf dem Dorfe unter den Leuten weit mehr Diskussionen über den Film bzw. das darin angeschnittene Problem, als wenn wir Das Brot des Bäckers einfach so abgespielt hätten, (in: Information 1977, Gesellschaft Solothurner Filmtage).

Urs Jaeggi
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
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