JEAN RICHNER

POLITISCHE VIDEOARBEIT IN DER SCHWEIZ UND ANDERSWO

CH-FENSTER

Es trifft zu, dass der Entscheid von CINEMA, eine seiner Ausgaben schwerpunktsmässig dem Thema Video zu widmen, auch ein wenig mit jener boomhaft um sich greifenden Euphorie zu tun hat, wie sie diesem Medium gegenüber in letzter Zeit allenthalben und in den kommunikations- und medientheoretischen Publikationsorganen im Besonderen zum Ausdruck kommt.

Zweifelhafte Euphorie

Die im Zusammenhang mit Video zu vernehmenden Beschwörungen handeln nicht selten von einer bevorstehenden Revolutionierung aktueller Kommunikationsformen (was vor allem dann nicht erstaunen kann, wenn man die Ursachen der massenepidemisch um sich greifende Erfahrung von Isolierung, Vereinzelung und Vereinsamung des Menschen in der herrschenden Industriegesellschaft auf die Existenz von Informationsdefiziten reduziert), sie handeln aber auch von grossartigen Einsatzmöglichkeiten des elektronischen Mediums, durch die Veränderungen von gesellschaftspolitisch emanzipatorischer Relevanz erzielbar seien (was dann nicht erstaunen kann, wenn man, von der Ideologie von der Wertfreiheit der Technik besessen, dieser historisch konstitutive Subjektivität zumutet). Ganz zu schweigen von der mitunter an Fahrlässigkeit grenzenden Darstellung der Problemlosigkeit, die die Beherrschung der Video-Technik angeblich kennzeichnen solle (wer letztlich wen beherrscht, die Technik den Menschen oder umgekehrt, scheint angesichts dessen, was Äusserungen wie «Bereits Kinder ab 12 Jahren können mit Video arbeiten» implizieren, analysierenswert zu sein).

Diese Euphorie sollte zu denken geben und davor warnen, in dem von Huldigungen überströmenden Chor mitzusingen, andernfalls man nämlich auch Gefahr läuft, plötzlich ungewollt in die Nähe jenes profitorientierten Optimismus zu geraten, wie ich ihm beim stellvertretenden Leiter der Videoabteilung der Schweizer Generalvertretung für Sony-Produkte begegnete, als dieser mir den Verlauf der Umsatzkurve für portable Video-Recorder schilderte und frohlockend auf die innert Jahresfrist erzielte Verdoppelung des Absatzes hinwies. Auch er verstieg sich schliesslich in Superlative, nur war Video für ihn im ökonomischen Sinne phänomenal, da man es hier mit dem einzigartigen Fall eines «krisenunabhängigen Konsumgutes» zu tun habe, bei dem «trotz der Rezession ein sprunghafter, massiver Anstieg im Verkauf» zu verzeichnen sei. Für ihn liegt die Brisanz der Einsatzmöglichkeiten nicht im Bereich emanzipierter Kommunikationsformen oder gesellschaftspolitischer Veränderungen, sondern beim Militär («für Manöverkritik»), bei der Polizei («für Überwachung und so...»), in der Industrie («Verkaufstraining», «Vertreterschulung» etc.) oder in der Freizeit («Sport», «Reiten» etc.).

Gehen wir von den Sachen aus:

Eine Video-Apparatur besteht aus einer Kamera und einem Video-Recorder. Die Kamera und ein frei geführtes oder in sie eingebautes Mikrophon fangen Bild und Ton elektronisch ein, während der damit verbundene Recorder diese Bild- und Tonsignale elektromagnetisch auf ein Magnetband aufzeichnet. Die Aufzeichnung lässt sich ohne Verarbeitung (im Gegensatz zum Film) unmittelbar danach auf einem Monitor (oder Fernseher) abspielen. Bezüglich der Aufnahme- und Wiedergabetechnik unterscheidet sich — etwas vereinfacht ausgedrückt — eine portabler Videorecorder nur dadurch von einem Tonbandgerät, dass, wie beim Unterschied zwischen Radio und Fernsehen, das Bild noch hinzukommt. Geht man nun davon aus, dass bezüglich der Massenwirksamkeit, das Radio zu seiner Blütezeit und bei dessen entsprechend repressivem Einsatz {wie z. B. der «Volksempfänger» in der Nazizeit) durchaus mit derjenigen des heutigen Fernsehens vergleichbar ist, dann hat Video — einmal zum vergleichbaren Massenkonsumgut avanciert — genau so wenig mit alternativem Fernsehen zu tun wie das Tonbandgerät zu seiner Zeit mit alternativem Radio.

Theorie und Praxis

Die Theoretisierung politischer Videoarbeit hat im internationalen Rahmen bis gegen Mitte der 70er Jahre unzweifelhaft in Frankreich ihren entwickeltsten Ausdruck gefunden. Dass dieser analytische und interpretatorische Vorsprung jedoch keineswegs einer entsprechenden Akkumulation praktischer Erfahrung entsprach, drückt Guy Gauthier in seinem Buch «Vers la vidéo-animation» aus, wenn er, sich auf die Situation Ende der 60er bis anfangs der 70er Jahre beziehend, davon spricht, dass im internationalen Zusammenhang gewissermassen eine Arbeitsteilung entstanden sei, indem nämlich die Japaner die Geräte produzierten, die Amerikaner sie kauften, die Kanadier damit experimentierten und die Franzosen darüber schrieben. Die Schuld für dieses Praxis-Manko wird allgemein den in jenen Jahren vom Staat zu sozialtechnokratischen Zwecken lancierten Kabelfernsehprojekten (in Rennes, Metz, den «Villes Nouvelles» um Paris, Grenoble etc.) zugeschrieben, durch die bis etwa 1973 die politisch relevanten Video-Praktiker gleichsam aus dem Verkehr gezogen und zur politischen Wirkungslosigkeit verurteilt worden seien.

Am Kriterium politischer Relevanz gemessen, verfügen im europäischen Zusammenhang — auf den wir uns hier auch beschränken wollen — unzweifelhaft die italienischen Gruppen über die umfassendste praktische Erfahrung. Es erübrigt sich zu betonen, dass dieser Umstand in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Qualität und dem Niveau der Klassenauseinandersetzungen in unserem südlichen Nachbarlande steht. Hier ist man — andernorts noch pure Utopie — sogar schon so weit, dass auf privater Basis, teilweise mit bescheidenster Videoausrüstung, kabelunabhängige TV-Sendestationen von regionaler oder kommunaler Reichweite betrieben werden.

Die englischen und holländischen Videogruppen weisen — die durch ihre nationale Geschichte und Eigenart gebotene Differenzierung vorausgesetzt — ein mit der französischen Szene vergleichbares Entwicklungsniveau auf. Alle Gruppen versuchen heute, auf das langfristige Ziel der Konstituierung einer international organisierten Zusammenarbeit ausgerichtet, durch einen permanenten Diskussionsprozess und Erfahrungsaustausch im nationalen Rahmen den wünschenswerten Grad an theoretischer und praktischer Vereinheitlichung zu erreichen. Ein erstes Ziel in diesem Prozess stellt in der Regel die Schaffung eines zentralen Katalogs oder gar einer zentralen Vertriebsorganisation für den Verleih der von den Gruppen produzierten Video-Bänder dar.

Die von den Franzosen bis ca. 1973 dominierte Theorieproduktion scheint ab 1974/75 mehr und mehr die Domäne der bundesrepublikanischen Szene zu werden. Mit bekannter Gründlichkeit liefert man sich hier theoretische Gefechte, die, angesichts des desolaten Zustandes «proletarischer Öffentlichkeit» oder allein schon von «Gegenöffentlichkeit», jenes «inhaltlich, formal und funktional gegen die bürgerliche Öffentlichkeit gerichteten Arbeits- und Kommunikationszusammenhangs» (Negt/Kluge), eher Verzweiflung über schmerzlich erfahrene Bedeutungs- und Perspektivlosigkeit signalisieren, denn vom produktiven Bemühen bestimmt sind, Beziehungen der Solidarität zu schaffen, auf deren Grundlage eine gemeinsame Praxis zu entwickeln wäre.

Einige Schlussfolgerungen aus der bundesrepublikanischen Theorie- und Praxisdiskussion sind es indessen trotzdem wert, bei der Definition eines konzeptionellen Ansatzes zur Realisierung politischer Zielsetzungen in der Videoarbeit berücksichtigt zu werden. Auf der Grundlage der von den Franzosen entwickelten Begriffe der «Video-Aktion» (Herstellung der «Gegenöffentlichkeit» durch die unmittelbare Teilnahme am Ereignis), «Video-Analyse» (die Zusammenfassung verschiedener Aspekte eines solchen Ereignisses) und «Video-Tract» (analytisch kurz und prägnant, wendet er sich, über den Kreis der unmittelbar Betroffenen hinaus, an ein breiteres Publikum), jener Formen also, die P. Flichy unter «video militant» versteht und Guy Gauthier mit seinem Begriff der «video-animation» ebenfalls anvisiert, aber auch mit eigenen Definitionen wie «prozessorientiertes Video» oder «produktorientiertes Video», schliesslich mit Anleihen bei Tretjakov («operatives Video») oder bei Brecht und Walter Benjamin synthetisiert das Medienpädagogik-Zentrum in Hamburg folgendes heraus:

Politisch-pädagogische Medienarbeit bedeutet nicht nur Arbeit am Medienprodukt, an der Medienaussage, sondern zugleich auch an den Mitteln der Produktion und der Produktion von Beziehungen. Sie zielt auf die Entwicklung eigenständiger medialer Artikulations-, Kommunikations- und Öffentlichkeitsformen der Betroffenen ab, indem sie die Betroffenen in der praktisch-politischen Zusammenarbeit dazu befähigt, dass sie selbst ihre Erfahrungen und Interessen ausdrücken, d. h. ihre Medien- und Öffentlichkeitsarbeit und die Produktion ihrer Lebensweise selbst in die Hand nehmen. (in: Medienarbeit Nr. 11, S. 22).

Für das Medienpädagogik-Zentrum steht also die Frage im Vordergrund, wie Selbsttätigkeit bei den Betroffenen zu erzielen sei, «die über die blosse Reproduktion vorhandener Fernsehklischees und über die Benutzung der Medien zur Zerstreuung und Ablenkung vom kapitalistischen Alltag hinausgeht und sich nicht nur auf mediale Selbsttätigkeit beschränkt». Hier werden schliesslich auch die Grenzen, die das Medium selbst setzt, reflektiert, und es wird ganz klar gesehen, dass eine Medienarbeit, die politischen Ansprüchen genügen will, über das hinauszugehen hat, was die auf Video und ähnliche Technik spezialisierten Gruppen in der Regel als Zielsetzung ihrer Tätigkeit zu definieren pflegen, nämlich dass «die Forderung nach medialer Selbsttätigkeit der Betroffenen (...) nicht zu trennen (ist) von der politischen, kulturpolitischen Artikulation und Organisierung der Betroffenen» (a. a. O., S. 24).

Damit seien einige Kriterien zur Beurteilung des politischen Gehaltes in der Arbeit mit Video gegeben, die uns als Grundlage für die Analyse der Schweizer Szene dienen sollen.

Video-Arbeit in der Schweiz

Da die politisch arbeitenden Videogruppen im internationalen Zusammenhang vorwiegend mit 1/2-Zoll-Geräten der Marke Sony arbeiten und dies auch in der Schweiz mehr und mehr zur Regel wird, scheint mir die Verallgemeinerung gewisser verkaufsstatistischer Fakten des Sony-Generalvertreters legitim zu sein. Das erste Halbzollgerät in Studioausführung wurde von Sony in der Schweiz 1967 verkauft. 1970 kam der erste portable Recorder auf den Markt, wobei es sich dabei noch um die alte Norm handelte (niedere Bandgeschwindigkeit und andere Bandbeschichtung als heute, daher auch wesentlich schlechtere Auflösung des Bildes). Ende 1973 kam schliesslich das portable Gerät (Japan Standard I) auf den Markt, mit dem die Gruppen heute hauptsächlich arbeiten. In der Schweiz wurden bis 1977 etwa 600 portable Geräte (alte und neue Norm) dieser Marke verkauft. -

In der welschen wie in der deutschen Schweiz lassen sich 1970 die ersten Ansätze zu einem politisch motivierten Einsatz von Video feststellen. In Zürich beschaffte sich der Filmer Jürg Hassler eine Studio Anlage (Marke Shibaden), und in Lausanne begann Miguel Stucky nach dem Kauf eines portablen Recorders politisch mit Video zu arbeiten.

Wenn wir allerdings bei der Einschätzung der Verhältnisse in der Schweiz die vorgängig dargestellten internationalen Massstäbe anlegen, dann sind wir mit einer eher entmutigenden Situation konfrontiert. Ausser den Aktivitäten von Hassler anlässlich der Ereignisse um den Lindenhof-Bunker (vom 31.10.70 bis 7.1.1971) und die «Antikapitalistische/antifaschistische Woche» an der Universität Zürich (6.-9.7.1971) sind in der deutschen Schweiz bis zum Frühling 1976 (Kampf gegen den Bau des Südportals des Milchbruck-Tunnels) keine nennenswerten Einsätze des Mediums zu verzeichnen.

Ausser in der «Anti-Fa-Woche» hat Hassler Video lediglich als Hilfsmittel zur Realisierung seiner Filmprojekte eingesetzt. Bereits für den Film Krawall im Jahre 1968 Hess er, selber noch nicht im Besitz einer Video-Anlage, die Fernsehberichterstattung über die Globus-Ereignisse aufzeichnen und filmte anschliessend die für seinen Film brauchbaren Sequenzen von einem Monitor ab. Ähnlich verfuhr Hassler, nun mit einer eigenen Video-Anlage, bei der Realisierung seines Films Pour un foyer collectif, der im Zusammenhang mit den Ereignissen um den Lindenhof-Bunker entstand. Es handelte sich dabei um einen Auftrag des welschen Fernsehens, bei dem ihm für die Herstellung eines 12-minütigen Filmes in der Gestaltung völlig freie Hand zugesichert war. Mit der Video-Apparatur Hessen sich beliebig viele Interviews von beliebiger Länge durchführen. So bestand schliesslich der 12-minütige Streifen zur Hälfte aus abgefilmten Videomaterial.

Der dritte und letzte erwähnenswerte Video-Einsatz erfolgte anlässlich der «Anti-Fa-Woche». Aber auch hier kann im strengen Sinne nicht von einer politischen Video-Arbeit gesprochen werden, handelte es sich doch eher um eine Dokumentation der Bewegung und nicht darum, mit dem Medium ein die Bewegung selbst darstellendes (animatorisches) und sie tendenziell weitertreibendes (militantes) Moment in die Auseinandersetzung einzubringen. Ein interessantes Detail ist vielleicht im Zusammenhang mit diesem Ereignis noch der erstmalige Einsatz einer Video-Grossprojektion, deren Bildqualität allerdings zu wünschen übrig Hess, und die Benützung eines Generators, wodurch netzunabhängig auch nach der Schliessung der Uni aufgezeichnet werden konnte.

Die von Stucky gegründete Gruppe «Medianalyse» in Lausanne dürfte wohl in der Schweiz die grösste Video-Erfahrung aufweisen. Ihr konzeptionelles Selbstverständnis soll kurz durch das folgende Zitat aus von ihr selbst verfassten Materialien veranschaulicht werden:

Es ist weniger unser Ziel, Dinge zu zeigen, die die andern Medien oder die Animateure nicht zeigen können, sondern in einer anderen Art und Weise zu arbeiten: Das bedeutet, dass die Kamera militant ist, sie ist parteilich. Es gibt nicht länger das Problem der vollständigen Objektivität des Journalisten. Stattdessen wird eine neue Beziehung zwischen dem Filmer und dem Gefilmten geschaffen, ein Hauptpunkt im Kampf gegen die seichte Neutralität, die von der herrschenden Ideologie gewünscht wird.

Stucky selbst konkretisierte diese Konzeption mir gegenüber durch die Schilderung des folgenden praktischen Falles:

Es gab am welschen Fernsehen eine Sendung, die L’antenne est à vous hiess und in der sich Gruppen vorstellen konnten oder vorgestellt wurden. Dort war eine Gruppe von aktiven Gewerkschaften an der Reihe, und sie wandte sich zu diesem Zwecke an uns. Durch sie wurden wir mit einer Betriebsgruppe in einer Fabrik bekannt gemacht, die ihrerseits wieder mit unseren Gewerkschaften zusammenarbeitete. Mit dieser Betriebsgruppe und den darin vertretenen Gewerkschaftern machten wir schliesslich während zehn Tagen einen Video-Film mit dem portablen Recorder. Was nun an dieser Arbeit besonders interessant war, ist die Tatsache, dass die Betroffenen noch nie weder Film noch sonst ein Bild hergestellt hatten, und wir sie deshalb am gesamten Entstehungs-prozess des Video-Filmes aktiv teilnehmen lassen wollten. Das heisst wir Hessen sie nicht nur an den Dreharbeiten direkt teilnehmen, sondern wir hatten auch gleichzeitig unsere gesamte Montage-Anlage von Lausanne nach Genf gebracht, um schon während des Drehens zu montieren und nach Massgabe der Erfahrungen bei der Montage jeweils die weiteren Dreharbeiten zu bestimmen; das heisst man ging am folgenden Tag immer dasjenige filmen, was sich aufgrund der Diskussion der Gruppe bei der Montage als Ergänzung für den Film notwendig erwies. Den ganzen Video-Film haben wir auf diese Art und Weise mit ihnen realisiert. Meiner Meinung nach ist gerade das die entscheidend interessante Arbeitsweise, wenn man mit einer politischen Gruppe zusammen mit Video arbeiten will. Das heisst, dass also auch die Montage am Ort des politischen Ereignisses in Zusammenarbeit mit den Betroffenen geschieht. Mit dem portablen Recorder arbeitet man draussen mitten im Geschehen, und das Montagegerät ist in nächster Nähe davon in einem entsprechenden Raum zu installieren. Nach der traditionellen Weise zu arbeiten hiesse, mit den Leuten zuerst ein Drehbuch zu schreiben, in das diese dann ihre Ideen eingehen Hessen, doch haben sie in der Regel keinerlei Ahnung davon, wie diese Gedanken in Bilder umzusetzen sind. Versucht man das aber schon von Anfang an ganz praktisch, können sie sich durch Experimentieren, durch den wiederholten Versuch mit der Zeit diese Umsetzung aneignen. Eine solche Arbeit ist nur mit Video zu leisten.

Ein ähnliches Experiment will Stucky — dessen Gruppe Medianalyse in das kürzlich gegründete und mit dem Filmkollektiv Zürich zusammenarbeitende «Film et Video collectif» aufgegangen ist — demnächst in einer Schule mit Schülern durchführen.

Um dem Anspruch eines historischen Überblicks zu genügen, sollen noch zwei wichtige Ereignisse Erwähnung finden, bei denen die Gruppe mit Video intervenierte. Den überhaupt ersten politischen Einsatz wagte man im Mai/Juni 1971 anlässlich der Ereignisse um das CAC (Comité d’action cinéma) in Lausanne, wo sich eine breitere Bewegung im Kampf gegen die Erhöhung der Kinoeintrittspreise herausgebildet hatte. Es kam damals zu Kundgebungen und Auseinandersetzungen mit der Polizei, die Tränengas einsetzte. Über diese Vorfälle entstand schliesslich der erste wichtige Video-Film dieser Gruppe.

In den Jahren 72 und 73 setzte Medianalyse Video hauptsächlich in der Quartierarbeit ein, und zwar in einem Lausanner Quartier, das dem Bau eines Büropalastes hätte weichen müssen. Die Quartierbewohner organisierten sich gegen den Abbruch der Häuser und gaben zur Aufrechterhaltung eines kontinuierlichen Informationsflusses auch eine Quartierzeitung heraus. Die Videogruppe realisierte zusätzlich mit den Betroffenen eine «Videogazette», die in Restaurants und Cafés abgespielt wurde und die Mieterbewegung jeweils über die sie betreffenden wichtigen Dinge informierte.

Ansätze und Projekte in der deutschen Schweiz

Von dem am 14. März 1977 gegründeten Video-Zentrum Zürich ist bezüglich einer konkreten politischen Praxis mit Video sehr wenig zu vermelden. Da das Zentrum selber nur über einen einzigen portablen Recorder mit dazugehöriger Kamera verfügt, also keinerlei Anlagen zur Verarbeitung eines Bandes besitzt, ist es dem Zentrum auch bis heute nicht möglich gewesen, eine unabhängige (autonome) eigenständige Arbeit zu leisten. Aus diesem Grunde hat man sich seit der Gründung auf die Organisation und Durchführung von Einführungskursen in die Handhabung des portablen Video-Recorders beschränkt. Leider fallen hier die publizistisch sehr effektvoll verbreiteten Ansprüche und die realen Verhältnisse auseinander. Doch glücklicherweise befindet sich das Zentrum zurzeit in einer Phase der kritischen Selbstfindung. Seit etwa anderthalb Jahren verfügt auch das Filmkollektiv Zürich über eine Video-Abteilung, die auf eine bescheidene politische Praxis verweisen darf. Erstmals arbeitete man im Frühling 1976 mit einem portablen Gerät in der sogenannten «Milchbuck-Bewegung», einer Bürgerinitiative gegen den Bau des Südportals des Milchbuck-Tunnels, einer Etappe des bereits seit einigen Jahren dauernden Kampfes gegen das Zürcher Express-Strassen-Projekt Y. Der Video-Einsatz erfolgte nicht mit einer animatorischen Absicht, sondern folgte dem spontanen Entschluss, mit der neu erworbenen Anlage praktische Erfahrungen zu sammeln. Im Laufe der Auseinandersetzung gelang es demzufolge auch nur ein einziges Mal, sich politisch erwähnenswert in den Dienst der Bewegung zu stellen, und zwar durch die Vorführung eines Bandes, das den unverhältnismässig aufwendigen Einsatz kampfmässig ausgerüsteter Polizeieinheiten gegen Belagerer eines Hauses, das dem Tunnelbau zum Opfer fallen sollte, eindrücklich dokumentierte. Es ist an der Vollversammlung gezeigt worden. Aus den rund vier Stunden Video-Material, dessen Visionierung verschiedenen Gruppen später zur kritischen und selbstkritischen Analyse jener Bewegung diente, wurde schliesslich ein Video-Film montiert, der im Theater am Neumarkt, anlässlich der Aufführungen van Dario Fo’s Stück Bezahlt wird nicht! jeweils gezeigt wurde, und der den Bezug des Stücks zu den hiesigen Verhältnissen hätte erstellen sollen. Ein weiteres Video-Band wurde mit der Quartiergruppe Westtangente für eine Mieterversammlung realisiert, in der gegen den Abbruch einer ganzen Siedlung protestiert wurde. Und schliesslich soll auch noch ein Band erwähnt werden, das anlässlich der Besetzung und gewaltsamen Schliessung des Frauenzentrums in Basel entstanden ist.

Da Video zurzeit entsprechend gross im Schwange ist, bestehen in Zürich auch einige Projekte zur Schaffung von Video-Zentren. Als erstes sei der «Le Corbusier Community Workshop» erwähnt, der von Initianten des Gottlieb Dutt-weiler-Instituts projektiert ist, und in dem ein allen Selbsthilfeorganisationen und Bürgerinitiativen zugängliches Video-Studio eingerichtet werden soll. Ein weiterer Vorschlag zur Einrichtung eines Video-Studios in der «Roten Fabrik» soll der Präsidial-Abteilung unterbreitet und im Rahmen des «Kommunikationszentrums Thearena» realisiert werden.

Jean Richner
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
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