BRUNO JAEGGI

ERINNERUNG

ESSAY

Wie aktuell, komplex und persönlich sich der bulgarische Film der Zeit des Faschismus annehmen kann, zeigt das Erstlingswerk Iwan Nitschews. Einzige Hauptfigur des Filmes ist der zehnjährige Pianist Miltscho. Er steht vor seinem ersten Konzert und wird von ungestümen, grausamen Erinnerungen an den zu Ende gehenden Faschismus verfolgt. Die ungemein starke Bildkraft des Films, die assoziative Montage, das einnehmende Klima und der ausgewogenen Rhythmus setzen Sensibilität und Problematik des jungen Pianisten um. Für ihn geht es darum, diesen wilden Alptraum zu überwinden, dessen Widersprüche weitgehend zu lösen, seiner Suche eine Richtung zu geben und zu einer eigentlichen Katharsis zu gelangen, ehe er zur Interpretation des Klavierkonzerts Nr. 1 von Brahms ansetzt. Was im Übrigen zu einem überraschenden, sehr offenen und gescheiten Filmende führt.

Sehr bald vergisst man, dass es sich bei Miltscho, der seine Eltern verloren hat und in einem Internat ausgebildet wird, um ein Kind handelt. Diese Rollenwahl ermöglicht indessen, die Suche und Läuterung des Künstlers a-didaktisch und allegorisch zu formulieren. Denn gleich von Beginn an erkennt man die zweite Ebene des Films: die Reflexion über Wesen, Aufgabe und Anwendungsbereich der Kunst und deren Wertlosigkeit an sich. Völlig filmisch, ohne jede theoretische Auseinandersetzung tastet sich Nitschew — und mit ihm Miltscho — nach dem Ursprung und Sinn der Kunst vor; die Suche nach der Mutter ist dafür eine der verschiedenen Metaphern. Jede einzelne Figur verkörpert, indirekt, die unterschiedlichen — falschen oder fruchtbaren — Gesichter der Kunst: Kunst als Hure und Köder, Kunst im Elfenbeinturm, Kunst in den Händen von Opportunisten, als Akzessoire einer verrotteten Bourgeoisie und, vor allem, Kunst als Ausdruck empfundener Erfahrungen und Leiden, die ihrerseits den Aspirationen und Emotionen der Menschen zu entsprechen haben. Miltschos Suche entspricht dabei in grossartiger Kongruenz der (oft hermetischen) Anlage und feinnervigen Sensibilität des Filmes selbst.

Spornen, 1973. Regie: Iwan Nitschew. Buch: Swoboda Batschwarowa. Kamera: Viktor Tschitschow. Musik: Kiril Tsibulka und Kiril Dontschew. Darsteller: Iwan Arschinkow (Miltscho), Katja Paskalewa (Mutter), Tadeusch Fjewski (Nikolai Wassilitsch), Todor Todorow (Schukri), Leda Tassewa (Lehrerin), Jossif Sartschadshiew (Dichter), Violetta Gindewa (Mila), Wladimir Smirnow (der Blonde). Farbe. Normalformat. Produktionsgruppe: Hemus.

SOUVENIR

Miltcho, âgé de dix ans, à la veille de son premier concert. Il est poursuivi par des souvenirs cruels du fascisme finissant. La force exceptionnelle des images, le montage construit sur des associations et le rythme transmettent la vision, la sensibilité et ia situation du jeune pianiste. Il s'agit pour lui de surmonter ce cauchemar sauvage, d'en dénouer pour une grande part les contradictions et d'arriver à une véritable catharsis. Le choix d'un personnage aussi jeune permet de formuler la quête de l'artiste de façon non-didactique, en utilisant sans prévention ni dogmatisme la pureté et l'ouverture nécessaire, car dès le début on reconnaît le deuxième niveau, complexe, du film: la réflexion sur l'essence, le rôle et l'étendue de l'art. De manière parfaitement cinématographique, le film, comme à tâtons, progresse vers l'origine de l'art, montrant ses différents visages: l'art comme putain ou comme appât, l'art dans la main des opportunistes, comme accessoire d'une bourgeoisie pourrie et, avant tout, l'art comme expression d'expériences et de souffrances vécues qui ont pour leur part à correspondre aux aspirations et la sensibilité de l'homme. Et Ivan Nitchev: «Notre film s'efforce d'activer la conscience du spectateur. Il désire donner libre cours au flux puissant de sa sensibilité, de ses facultés émotives, accroître sa réceptivité, élargir son monde subjectif.» (bj)

Bruno Jaeggi
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
[© cinemabuch – seit über 60 Jahren mit Beiträgen zum Schweizer Film  ]