BERNHARD GIGER

EIN LEHRFILM — ... E NOIALTRI APPRENDISTI VON GIOVANNI DOFFINI UND LEHRLINGEN DER GEWERBESCHULE TREVANO

CH-FENSTER

Eine Lehre zu machen galt einmal als solide Grundlage für das Berufsleben, Lehrlinge konnten in den meisten Fällen mit einem sicheren Arbeitsplatz nach der Lehre rechnen. Das will nicht heissen, dass es den Lehrlingen besonders gut ging, dass sie mit Samthandschuhen angefasst wurden — im Gegenteil, unter den Jugendlichen sind Lehrlinge die, die am schändlichsten ausgebeutet wurden, Beispiele von Lehrlingen, die als billigste Arbeitskraft und Mädchen für alles eingesetzt wurden, Hessen sich unzählige aufzählen. Ende der sechziger, Anfangs der siebziger Jahre begannen die Lehrlinge sich zur Wehr zu setzen, forderten höhere Löhne und befriedigendere Arbeitsbedingungen. Zu diesen Forderungen sind jetzt andere dazugekommen: durch die Schwierigkeiten der Wirtschaft, nicht noch mehr der Krise zu verfallen, sind die Arbeitsplätze nach der Lehre nicht mehr gesichert. Den Kampf um diese Arbeitsplätze dokumentiert der Film von Giovanni Doffini.

Eine Umfrage in der Gewerbeschule von Trevano ergab, dass 40% der Lehrlinge nach der Lehre arbeitslos sein werden. In Versammlungen wurde darauf eine Motion ausgearbeitet:

Für alle Lehrlinge nach Ablauf des Lehrvertrags mindestens 6 Monate garantierte Arbeit in der Lehrfirma — beim Durchschnittslohn des Berufs. Dies darf aber nicht zur Entlassung von anderen Arbeitnehmern führen — weder Schweizer noch Ausländer. Wir fordern die Gewerkschaften auf, sich für eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnabzug und für die Herabsetzung des Pensionierungsalters einzusetzen.

Um diese Forderungen zu bestärken, besetzten die Lehrlinge vom 26. Mai 1975 an eine Woche lang die Mensa der Gewerbeschule Trevano:

Wir machen einen Schulstreik, weil wir genug davon haben, immer Briefe zu schreiben, auf die uns niemand antwortet.

Die Bilder des Films sind nüchterne Dokumentation. Sie erinnern an Pressephotos und an Tagesschauberichte. Einzig die Darstellung der Verhandlungen mit den Behörden, den Schul- und Gewerkschaftsvertretern, löst sich von der blossen Dokumentation: Puppen «spielen» die Verhandlungen. Die Filmemacher benutzen damit ein bewährtes Mittel des politischen Theaters, vor allem des Strassentheaters (Bread and Puppet-Theatre). Die Dokumentationsbilder erhalten ihre Bedeutung erst durch den persönlichen Bericht — ein Tagebuch — eines Schülers. Sein Bericht ist nicht nur einer über eine Aktion, sondern auch, und dies scheint mir genauso wichtig zu sein, einer über die Schwierigkeiten, diese Aktion zu organisieren. Widerstand leisten — dafür braucht es auch eine Lehre:

Während der Besetzung mussten wir feststellen, dass wir nicht einmal vor einem Publikum reden oder ein korrektes Pressecommuniqué schreiben können.

So wie das Tagebuch von Che Guevara mehr aussagt über den Revolutionär als manche feurige Rede seiner Bewunderer, so sagt das Tagebuch dieses Lehrlings mehr aus über die Besetzung der Gewerbeschule von Trevano als jeder «linientreue» Kommentar dies vermocht hätte. Über die Schwierigkeiten anderer erkennt und überwindet man erst die eigenen Schwierigkeiten.

Es ist weniger wichtig, wie erfolgreich die Aktion der Lehrlinge war, wichtig ist die Aktion an sich, der Widerstand, der da geleistet wurde, die Solidarität, die da geschaffen wurde. ... e noialtri apprendisti ist ein Film von Lehrlingen für Lehrlinge, ist ein Lehrfilm für solche, die ihr Unbehagen bisher noch nicht umgesetzt haben in die Aktion: schafft viele Trevanos.

... e noialtrl apprendisti. Schweiz 1976, 16 mm., schwarz-weiss, 43 Minuten. Produktion und Realisation: Giovanni Doffini und Lehrlinge der Gewerbeschule von Trevano, Pic Film Lugano. Deutsche Version: Filmkollektiv Zürich.

UN FILM DIDACTIQUE

Le film ... e noialtri apprendisti documente la lutte d'apprentis de l'école professionnelle de Trevano pour des places de travail à >la fin de leur apprentissage. Pour renforcer leurs exigences, les élèves ont occupé pendant une semaine la cantine de l'école. Les images du film sont une simple, mais lucide documentation. Elles rappellent des photos de presse et des reportages du téléjournal. Seulement la représentation des pourparlers avec les autorités, les représentants des syndicats et de l'école s'éloigne de la documentation pure: des marionnettes «jouent» les pourparlers. Les documents-images n'obtiennent leur sens véritable que par le récit personnel — le journal — d'un des élèves. Ce n'est pas seulement le récit d'une action, mais aussi des difficultés à organiser cette action. Résister — cela demande aussi un apprentissage.

... e noialtri apprendisti est un film d'apprentis pour des apprentis, c'est un film didactique pour tous ceux qui ne sont pas encore parvenus à traduire leur malaise en actions: Puisse l'expérience de Trevano se multiplier! (AEP)

Bernhard Giger
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
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