Als die Produktionsförderung der Eidgenossenschaft ihre ersten Früchte zeitigte, war damit das Verteilproblem (Verleih) noch nicht gelöst. Das laue Interesse der traditionellen Verleiher an diesen Filmen konnte niemanden befriedigen. «Wer in der Schweiz Ende der fünfziger Jahre Filme im Sinne eines Cinema des auteurs machen wollte, hatte keinen Gegner ausser allgemeine Gleichgültigkeit, Skepsis und sogar Zynismus — er war auf sich selbst gestellt» (A. J. Seiler, 1960). Das Selbstverständnis der meisten im Kinogewerbe Tätigen war durch Produkte und ökonomische Zwänge des Auslandes bestimmt, vorab der Film-Industrie Hollywoods — «une Industrie à la recherche du plus large public» (A. Tanner, 1974) —, welche existenzbestimmend und vorbildlich wurde für die Filmwirtschaft in der Schweiz und anderswo. Die Forderung an den Film, eine gutverkäufliche und rentable Ware zu sein, kollidierte seit eh und je mit den künstlerischen, kritischen und letztlich ethischen Zielvorstellungen vieler Filmschaffenden. In dem Moment, da der Staat sich diese Zielvorstellungen zu eigen machte und nur noch «wertvolle» Filmvorhaben förderte, konnte ein auf wirtschaftlichen Zielvorstellungen beruhendes Verteilsystem den Anforderungen des Filmschaffens erst recht nicht mehr genügen. Diese Entwicklung ist weltweit zu beobachten und hängt mit der Emanzipation des Filmes zusammen: «Ein Film ist ein Film...» (J.-L. Godard).
Natürlich wünscht sich auch der Kulturschaffende ein möglichst breites Publikum für seine Werke. Der in der Schweiz arbeitende Filmautor ist zudem existenziell auf Rückflüsse aus seinen Filmen angewiesen, da die staatliche Hilfe maximal die Hälfte der Produktionskosten deckt und es private Investoren oder Produzenten kaum gibt. Diese Rückflüsse, welche in den allermeisten Fallen sofort in ein neues Projekt gesteckt werden, stammen aus der Fernsehauswertung einerseits (Produktionsbeiträge, Verkäufe) und den öffentlichen Vorführungen anderseits.
Ist bei Spielfilmen in einzelnen Fällen eine Zusammenarbeit mit dem traditionellen Verleih immerhin möglich und wünschenswert, sofern sich dieser mit wesentlichen Investitionen zu Beginn der Produktion am Risiko beteiligt, so ist diese Zusammenarbeit im Falle von kurzen, mittellangen und Schmalfilmen aussichtslos. Der finanzielle Ertrag steht für ein kommerziell geführtes Unternehmen in keinem branchenüblichen Verhältnis zum Aufwand. So wie die Produktionsförderung durch den Bund eindeutig kulturpolitische Ziele verfolgt (und nur am Rande wirtschaftspolitische), so muss auch die Verteilung dieser Filme vor allem als eine kulturpolitische Aufgabe erkannt werden. Die praktische Durchführung dieser Aufgabe kann so wenig die Sache der Eidgenossenschaft sein wie die Produktion von Filmen. Die Initiative dazu muss von aussen kommen und kann dann von der Eidgenossenschaft moralisch und materiell unterstützt werden (Ar. 11 der Vollziehungs-Verordnung I zum Filmgesetz). In diesem Sinne hat Herr Bundesrat Tschudi in Beantwortung einer Motion 1970 im Nationalrat gesagt: «... sofern die Initianten (des Filmzentrums, d. V.) tatsächlich sich mit dem Verleih von Filmen befassen wollen, wird der Bund sie im Rahmen des Möglichen dabei unterstützen.» Das ‘Schweizerische Filmzentrum’ hatte sich dieser Aufgabe mit Gründung des Film-Pools tatsächlich auf gesamtschweizerischer Ebene angenommen und bis heute eine Infrastruktur aufgebaut, welche das Verteilproblem von Schweizer Filmen zu lösen vermag.
Die in den vergangenen Jahren entstandenen Schweizer Filme sind von sehr unterschiedlicher Qualität und sprechen ganz verschiedene Publikumsgruppen an. Da die meisten einen künstlerisch- schöpferischen Anspruch haben, richten sie sich nicht automatisch nach Marktanalysen und Publikumsgunst. Ihre Verteilung kann deshalb eben so wenig wie ihre Produktion nach rein marktwirtschaftlichen und Efficiency-Prinzipien durchgeführt werden. Der Aufwand für die Betreuung der meisten Filme ist viel zu gross, und sie würden deshalb in einem kommerziellen Verleih als «unrentabel» ausscheiden. Die Aufgabe des Verleihs von Schweizer Filmen, die sich der Film-Pool vorgenommen hat, ist entsprechend dem ursprünglichen Sinn des Wortes Kultur in erster Linie eine Frage der Betreuung und Pflege. Diese kann bei einer nicht-elitären Auffassung von Kultur nicht allein darin bestehen, einige wenige mächtige Bäume hochzuziehen, welche die anderen Pflanzen in ihrem Schatten verkümmern lassen. Alle sollen — zumindest auf institutioneller Seite — möglichst dieselben Voraussetzungen haben. Für Konkurrenz- und Daseinskampf bleibt sonst noch genügend Spielraum!
Aus diesen Überlegungen wurde der Film-Pool als reine Dienstleistungs-Organisation aufgebaut, die ohne Gewinn arbeitet und von jedem Filmschaffenden in der Schweiz in Anspruch genommen werden kann. Im Gegensatz zu anderen Verleihern, auch solchen, die sich verdient gemacht haben um den Schweizer Film, die aber alle in irgendeiner Weise Fremdinteressen vertreten — seien diese kommerzieller oder weltanschaulicher Natur, — widmet sich der Film-Pool einzig und allein der Aufgabe, den Schweizer Film möglichst gut zu verbreiten und durch möglichst grosse Rückflüsse aus dem Verleih der Filmschaffenden neue Mittel für Filme zuzuführen.
Den wachsenden Erfolg dieser Konzeption kann man daran ermessen, dass sich der Umsatz auf dem Schmalfilmsektor in einem einzigen Jahr mehr als verdoppelt hat, nämlich von Fr. 41561.— (1973) auf Fr. 84 966.— (bis zum 15. 11. 74). Dazu hat auch die Errichtung einer Zweigstelle des Film-Pools in Genf wesentlich beigetragen.
Die Schwierigkeiten im Spielfilm-Verleih sind hingegen gross. Mit Alain Tanners La Salamandre hat der Film-Pool auch auf dem Kinosektor zu arbeiten begonnen. Unterdessen sind die erfolgreichen Romands zu den kommerziellen Verleihern abgewandert, wofür es wahrscheinlich gute Argumente gibt: Ein Verleih kann Vorschussgarantien leisten. Im Falle von Co-Produktion mit anderen Ländern ist die Zusammenarbeit mit international tätigen Verleihern, die ihre Filialbetriebe in der Schweiz haben, naheliegend. Oder der Produzent wünscht die Zusammenarbeit mit einem bestimmten Verleiher. Man muss sich allerdings fragen, ob die Investition von garantierten Fr. 60 000.— (ein sehr gutes Angebot wohlverstanden) in einen Film von Seiten eines organisierten Verleihers wirklich ein Grund ist, seine Unabhängigkeit aufzugeben. Abgesehen davon, dass auch der Film-Pool allenfalls Garantien leisten kann, spielte die Salamandre ca. Fr. 265 000.— netto Verleih ein. Davon gingen rund Fr. 40 000.— an den Film-Pool. Tanner erhielt also ca. Fr. 225 000.—. Bei einem organisierten Verleiher hätte er bei branchenüblicher Pourcentage lediglich Fr. 132 500.—, also rund 41% weniger bekommen... Wie man weiss, hat Tanner mit diesem Geld ohne Bundeshilfe, — die damit jemand anderem zugutekam, — Le retour d’Afrique produziert. Mit seinem Anteil hat er dem Film-Pool ermöglicht, auch schwierige Filme zu pflegen, ohne übermässig von Subventionen abhängig zu werden. Dieser «Finanzausgleich» funktioniert natürlich nicht mehr, wenn alle Erfolgreichen in das traditionelle Verleihsystem abwandern! Die meisten in der Schweiz entstandenen Spielfilme hätten ohne den Film-Pool nicht einmal die Chance, die sie haben.
Stützt sich der Schmalfilm-Verleih weitgehend auf den «billigen» Circuit parallele ausserhalb der Kinos ab, müssen Spielfilme im Kino, also im traditionellen Verteilsystem untergebracht werden, das damit auch seine Bedingungen diktiert. Die schwerwiegendste ist die, dass dieses traditionelle Verteilsystem für unsere an internationalen Massstäben gemessen «kleinen» Filme horrend teuer arbeitet, ein Film im vorneherein sehr «kommerziell» sein muss, um nur die Unkosten seiner Verteilung einzuspielen. Allein die kulturpolitische Zielsetzung der Bundesfilmförderung steht dieser Bedingung schon entgegen: Ein «wertvoller» Film ist eben nicht unbedingt im branchenüblichen Sinn «kommerziell».
Nun könnte man meinen, dass die Verteilung von Filmen in einer freien Marktwirtschaft auch billiger zu haben wäre, indem der Filmschaffende seine Filme selbst oder durch die Organisation seiner Wahl — z. B. den Film-Pool — verleiht. Dem steht das Marktregulierungs-Instrument, das sich Verleiher und Kinobesitzer geschaffen haben, der «Interesse-Vertrag» entgegen. Die wichtigste Vereinbarung des Kartells lautet: Verleiher dürfen nur an organisierte Lichtspieltheater Filme liefern; diese dürfen nur von organisierten Verleihen Filme beziehen. Zwar besteht heute eine Vereinbarung zwischen den Beteiligten, die eine Freigabe eines Schweizer Filmes unter gewissen Voraussetzungen erlaubt (sog. «Direktverleih»). Aber diese Voraussetzungen — Optionsrecht der organisierten Verleiher verbunden mit Fristen, welche es verunmöglichen, die im Kinogewerbe üblichen, mit Garantien verbundenen Vorverträge mit Kinos vor Produktionsschluss zu tätigen — verzögern beim derzeitigen Überangebot an Spielfilmen die Kinoauswertung einheimischer Filme um ein halbes bis ganzes Jahr! Die Folgen sind verheerend: Statt Rückflüsse an die Produktion laufen Kreditzinse; der Autor/ Produzent ist in seiner weiteren Arbeit blockiert; der Film-Pool bekommt seine Anteile verspätet, was Liquiditätsprobleme für die Finanzierung der Promotion, der Propaganda und der Verleihkopien ergibt.
Aus all dem ist ersichtlich, dass die endgültige Befreiung des Schweizer Films vom Interessevertrag eines der ersten Ziele der Filmpolitik sein muss. Es ist nicht einzusehen und juristisch unhaltbar, dass Schweizer Filme einer privatwirtschaftlichen Marktregulierung unterstellt sind, die aus Problemen des traditionellen Verleihs entstanden ist. Und es ist eigentlich unverständlich, warum auf der Seite der traditionellen Verleiher dieses bisschen Grosszügigkeit nicht aufgebracht werden kann, um diesen alten Zopf endlich abzuschneiden (merke: auf 462 durch traditionelle Verleiher importierte Spielfilme kamen 1973 rund zehn Schweizer Spielfilme...).
Wohl immer wird der kleine Schweizer Film, der Film eines kleinen Landes, die Intensivbetreuung auf der Verleihseite nötig haben. Der Film-Pool, der von den Schweizer Filmautoren mit Unterstützung des Bundes geschaffene Verleih für ihre Filme, hat damit eine Aufgabe übernommen, die der traditionelle Verleih weder leisten will noch leisten kann.