PIERRE LACHAT

ATTRAKTIV ODER NICHT? — FÜR EINE BREITE PERSONELLE INFRASTRUKTUR IM SCHWEIZER FILM

CH-FENSTER

Das Elende, aus nichts oder nicht viel eine kontinuierliche nationale Filmproduktion aufbauen zu müssen, beschreibt sich in verschiedenen materiellen und kulturellen Teufelskreisen. Unter ihnen befindet sich dieser: Personelle Infrastruktur und kontinuierliche Produktion bedingen einander gegenseitig, stärker als sich sowieso zwei Aspekte des Problems einer nationalen Filmproduktion immer gegenseitig bedingen.

Es können nicht vorzu Filme gemacht werden, wenn es, nebst den Autoren, an denen quantitativ wahrlich nie ein Mangel bestanden hat, nicht auch die Drehbuchschreiber, Darsteller, Komponisten, Produktionsleiter, Aufnahmeleiter, Kameraleute, Kamera-Assistenten, Tonmeister, Tonassistenten, Regie-Assistenten, Cutter, Script-Girls, Requisiteure, Beleuchter, Standphotographen, Dekorentwerfer, Garderobiers und Maskenbildner gibt, von den exotischeren filmtechnischen Spezialisten ganz zu schweigen.

Es gilt in gleichem Masse das Umgekehrte: Werden nicht kontinuierlich Filme gedreht, die den Filmtechnikern und andern in der Sparte Beschäftigten Arbeit und Verdienst bieten, kann die personelle Infrastruktur sich nicht verfestigen und an Breite und Qualität gewinnen. Die Situation ist die gleiche, wie wenn ein angehender Filmautor mit einem Projekt bei einem potentiellen Geldgeber vorspricht und von diesem, spitz ausgedrückt, zur Antwort erhält: Wenn Sie bloss schon Ihren ersten Film gemacht hätten, stünde dem nichts im Wege, dass Sie ihn jetzt mit meiner Hilfe machen könnten. Anders gesagt: Wichtigste Voraussetzung für das Zustandekommen einer Sache ist es, dass es sie schon gibt. Von den Geldgebern aus gesehen: Warum sollen sie sich finanziell engagieren, wenn sie keine Gewähr dafür haben, dass etwas Dauerhaftes damit angestellt wird? Von den Machern aus gesehen: Warum sollen sie den Weg des mühsamen Aufbaus gehen, wenn keine Gewähr dafür besteht, dass die Sache auf die Dauer finanziert wird?

Die Filmtechniker, die ihren Beitrag zur schweizerischen Filmproduktion, seit es sie gibt, das heisst seit den vierziger Jahren, schon mit ihrer Arbeit leisten, sind folgerichtig, wie die Autoren, dazu übergegangen, ein mehreres zu tun: nämlich selbst in die Voraussetzung für ihr Fortkommen zu investieren, sich im bescheidenen Rahmen ihrer Möglichkeiten durch einstweiligen Verzicht auf einen Ted ihrer Gagen und Honorare an den Produktionen zu beteiligen. Wer heute in der Schweiz auf die Dauer Filmtechniker sein will oder sonst wie in der Filmproduktion sein Auskommen sucht, kommt um diese Not-Abhilfe gegen die Finanzmisere fast nicht herum, und das, wohlgemerkt, in einer Situation, wo Spitzenlöhne und Vollbeschäftigung im Gewerbe alles andere als die Regel sind.

Die Kehrseite dieser sozusagen gezwungenermassen kurzfristigen, wenn nicht eben auch kurzsichtigen Strategie: Die Berufe werden noch einmal unattraktiver, als sie ohnehin schon sind, was heute, wo es zu viele Filmtechniker gibt, weiter nichts verschlägt, auf die Dauer aber, im Hinblick eben auf eine breite personelle Infrastruktur und einer entsprechenden kontinuierlichen Produktion, zu Schwierigkeiten führen könnte. Verzicht, Opfer, das Aufsichnehmen von Härten können in bestimmten Phasen eines kulturellen Aufbauprozesses nötig, richtig und produktiv, sogar lehrreich sein und eine passende Selektion bewirken. Wenn jedoch ein Provisorium dieser Art zum Definitivum gerät, kommt der kulturelle Prozess innerlich, ohne dass es nach aussen sichtbar würde, ins Stocken. Die Produkte können je nach dem auch immer schlechter werden statt besser, ohne seltener zu werden.

Der Schweizerische Film-Techniker Verband

Soweit die Vorrede zu den Fakten. In der Schweiz, wo Filme handwerklich, nicht industriell hergestellt werden, ist es für die Filmtechniker zunächst einmal schwierig, überhaupt als definierte Berufsgruppe vorhanden zu sein. Es hat sie seit den vierziger Jahren immer etwa in dem Mass gegeben, als mehr oder weniger kontinuierlich Filme produziert wurden. Das alte «Syndikat der schweizerischen Filmschaffenden», im Zug der Kriegsjahre entstanden, hat bis etwa 1968 überlebt. Seither ist die dem VPOD angeschlossene Organisation zu einem Dasein auf dem Papier reduziert, zufolge Abwanderung der Mitglieder bis auf etwas über ein Dutzend.

Doch fast so schnell, wie die alten Strukturen zerfielen, bildeten sich neue heraus: Es kamen, in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre, die «Jungfilmer» zum Zug. Sie verschrieben sich anfänglich einer «wilden» Produktionsweise, stellten statt auf Berufsleute auf die schlecht bis gar nicht bezahlte Mithilfe von Freunden und Bekannten ab.

Je mehr aber Bund und Television die neuen Filmemacher subventionierten, um so höhere Ansprüche wurden an diese gestellt. Teurere, komplizierte, ehrgeizigere Produktionen erzwangen die Reprofessionalisierung. Aus Wochenendjobs wurden wieder Berufe. Zu einer Neuformierung setzten die Filmtechniker an den Solothurner Filmtagen 1973 an. Es wurde ein Ausschuss bestellt, der innert Jahresfrist bei 79 Filmtechnikern die Bedingungen erfragte, unter denen jeweils gearbeitet wird. Daraus leitete die Gruppe einen Katalog von Postulaten ab. Aufgrund der Ergebnisse dieser Vorarbeit wurde am 17. März 1974 in Bern der «Schweizerische Film-Techniker Verband» (SFTV) gegründet. Zum Präsidenten wurde der Zürcher Cutter und Regieassistent Georg Janett, der sich etwa auch als Drehbuchautor betätigt, gewählt.

Der SFTV stellte fest, dass ein Überangebot an «frei»-schaffenden Filmtechnikern besteht. Zwangsferien von mehreren Wochen im Jahr sind häufig, desgleichen temporärer Broterwerb im Ausland, wo höhere Gagen bezahlt werden. Viele arbeiten, je nach Angebot, einmal in dieser, einmal in jener Funktion, das heisst, der Grad der Spezialisierung ist nicht sehr hoch. Wenige renommierte Kameraleute verdienen sehr gut, die meisten anderen Filmtechniker weniger als 40 000 Franken im Jahr.

Wichtigste Forderung des Verbandes: wieder, wie einst das «Syndikat», in der Eidgenössischen Filmkommission vertreten zu sein, wo unter anderem die Budgetposten für die Technikerlöhne in den wichtigsten schweizerischen Produktionen festgelegt werden. Sodann soll das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit veranlasst werden, dafür zu sorgen, dass vermehrt schweizerische Filmtechniker in jenen ausländischen Produktionen engagiert werden, die in der Schweiz drehen. Zusammen mit dem Biga soll auch versucht werden, Qualifikationskriterien für die Aus- und Weiterbildung in den einzelnen Berufssparten zu erarbeiten. Zudem sind der Aufbau einer Auskunftskartei und Arbeitsvermittlung, die Einführung eines verbindlichen Mustervertrags und die Aufnahme von Kontakten zu den TV-Anstalten geplant.

Lauter Anstrengungen also, immerhin, die darauf hinzielen, die Filmtechnikerberufe wieder attraktiver zu machen, und die schon einen Ansatz darstellen für jene Verbreiterung der Basis im Schweizer Film, die erforderlich ist.

«ATTRAKTIV ODER NICHT?»

Il est question dans l’article de Pierre Lâchât des relations entre la continuité ou discontinuité de la production cinématographique en Suisse et la largeur de base de l’infrastructure indispensable à celle-là. La coutume des techniciens du film qui consiste à investir, par renoncement provisoire aux salaires, dans la production d’un film est discutée à brève et à longue échéance, c’est-à-dire justement en vue d’un futur élargissement de la base du cinéma suisse. Cela revient à poser la question de l’attractivité des métiers cinématographiques. L’article se conclut par un rapport sur la fondation de l’Association susse des techniciens du film qui eut lieu le 17 mars 1974 à Berne. (chat)

Pierre Lachat
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
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