PIERRE LACHAT

BÄUME, DIE NICHT IN DEN HIMMEL WACHSEN — DIE FILMARCHIVE BELGIENS UND DER SCHWEIZ IM VERGLEICH

ESSAY

Die Gründerjahre des belgischen und des Schweizer Filmarchivs sind ungefähr dieselben: in Brüssel wurde unmittelbar vor dem Krieg, in Basel noch während des Krieges, 1943, mit dem mehr oder weniger systematischen Sammeln von Filmen und zugehörigem Material begonnen. An beiden Orten ging die Kinemathek aus einem ziemlich kleinen und verschworenen Kreis von Aktiven in der Filmklubbewegung hervor, aus denen sich dann recht bald eine dominierende Persönlichkeit herausschälte, die das an Umfang stets gewinnende Unternehmen mühsam über die Durststrecke bis zur öffentlichen Anerkennung und finanziellen Unterstützsing durch den Staat schleppte: Jacques Ledoux in Belgien, Freddy Buache in der Schweiz.

In diesen langen Jahren, die sich in Brüssel bis 1965, in Lausanne bis 1963 hinzogen, überlebten die respektiven Institutionen mit mehr als kärglichen Subventionen, die noch ganz knapp die Alibifunktion erfüllten. Eine Million belgischer Franken, nach heutigem Wechselkurs rund 80 000 Schweizer Franken, erreichten sie in der fraglichen Zeit für Ledoux, etwa 20 000 Schweizer Franken für Buache; im zweiten Fall ist die Summe als reine feste jährliche Zuwendung zu verstehen, also ohne die einmaligen Zuwendungen, die bis dahin 16 000 Franken betrugen. Heute sind für Buache die Jahre bis 1963 die «verlorene Zeit», in denen er kaum richtig basteln, geschweige denn arbeiten konnte; nicht viel anders dürfte es sich in Belgien verhalten haben.

1965 verfünffacht der belgische Staat die Zuwendungen an die «Cinémathèque Royale»; sie erreichen fünf Millionen belgische, das sind 400 000 Schweizer Franken. Der historischen, wenn natürlich keineswegs der effektiven finanziellen Qualität nach entspricht dieser Schritt dem in der Schweiz 1963 vollzogenen: damals wurden in unserem Land die gesetzlichen Grundlagen für eine Subventionierung durch den Bund geschaffen, der im ersten Jahr 35 000 Franken aufwendete. Bis dahin wäre die Subventionierung der «Cinémathèque Suisse» Sache der Kantone und Gemeinden gewesen, die freilich, es verbietet sich jedes andere Wort, rundweg versagten. Belgien 1965, Schweiz 1963 — das Prinzip der staatlichen Anerkennung hat sich an beiden Orten durchgesetzt, nur wirkt es sich in Belgien eben doch ganz wesentlich anders aus.

Der heutige Vergleich bietet noch immer ungefähr dasselbe Bild: 1,2 Millionen Schweizer Franken beträgt das Budget, rund gerechnet, in Brüssel, allenfalls 200 000 in Lausanne. Daraus ergeben sich die Entsprechungen, was etwa die Zahl der Angestellten betrifft: 20 bis 25 für Ledoux, fünf für Buache (er selber freilich eingerechnet); des Weiteren in Bezug auf die faktische Anerkennung durch das Kinogewerbe: deponieren in Belgien nahezu alle Verleiher ihre Filme bei Ledoux, so sind es in der Schweiz etwa die Hälfte, bei den wichtigen amerikanischen Firmen zwei von fünf.

Die «Cinémathèque Royale» erhält besondere Kredite fürs Umkopieren von ausländischen Filmen, die «Cinémathèque Suisse» führt einen permanenten Kampf um Kredite fürs Umkopieren von Schweizer Filmen; Ledoux kann es sich leisten, einen Teil seiner Subventionen ans angegliederte «Musée du cinéma» abzuführen, das eigene Direktsubventionen erhält; Buache verfügt derzeit noch immer über kein wirklich geeignetes Kino fürs Vorführen seiner Filme «en suite»; in Brüssel gibt es die Institution des permanenten Festivals des belgischen Films, dem entsprechen allenfalls die wenigen alten Schweizer Filme, die Buache in den letzten beiden Jahren am Festival von Locarno nicht ohne Mühe und Risiken hat vorführen können, während es einen festen Ort, an dem neue Schweizer Filme das ganze Jahr hindurch gezeigt werden können, in der Schweiz nicht gibt, das sei mit der Einschränkung gesagt, dass die Solothurner Filmtage natürlich diese Funktion zum Teil, wenn auch auf eine andere Weise, erfüllen.

Freilich zeigt es sich, dass auch in Brüssel die Bäume nicht in den Himmel wachsen: für die unter allem mannigfachen Aufgaben eines Filmarchivs wichtigste und eben auch teuerste, nämlich die, wie das nun einmal in der Schweiz heisst, «Rettung der (eigenen) Filmvergangenheit» fehlen auch Ledoux die Mittel in ganz ergeblichen Mass. Hier wie dort ist die Frage vor allem auch eine subventionspolitische: es lässt sich nun einmal nicht so recht genau voraussagen, wohin das Abenteuer, nach einer bestimmten Prioritätsordnung alle «nationalen» Filme zu erhalten, auf die Dauer führt, zumal welche Summen ein solches Vorhaben, je nachdem, wie die Dinge sich entwickeln, auf lange Sicht verschlingen wird. In dieser Beziehung befinden sich Filmarchive und Subvenienten in einer etwas heiklen Lage, die Vorsicht aber nichts desto weniger Grosszügigkeit verlangt.

DES ARBRES QUI NE POUSSENT PAS DANS LE CIEL

Enchatnant sur l'article de Freddy Landry «La Cinémathèque Royale de Belgique», Pierre Lachat élabore une comparaison en quelques points essentiels entre l'institution de Jacques Ledoux et celle de Freddy Buache. II montre pourquoi la cinematheque suisse est restée, pour reprendre le mot de Freddy Landry, pauvre parmi les pauvres tandis que la cinémathèque beige en est arrivée à être pauvre entre les riches. Mais il en resulte également que, malgré les différences, des difficultés communes subsistent.

Pierre Lachat
Keine Kurzbio vorhanden.
(Stand: 2020)
[© cinemabuch – seit über 60 Jahren mit Beiträgen zum Schweizer Film  ]